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10.12.2012

Interview mit Mechthild Löhr in der Tagespost zum Suizidhilfe-Paragrafen 217

Mechthild Löhr, Bundesvorsitzende der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), sieht den auf dem CDU-Bundespartei in Hannover verabschiedeten Antrag zum Suizidhilfe-Paragrafen 217 als „klares, kritisches Signal“ – Verweis auf Selbstbestimmungsrecht von Leutheusser-Schnarrenberger ist „grotesk“.

Frau Löhr, der CDU-Parteitag hat einen Antrag zum derzeit diskutierten Suizidhilfe-Paragrafen 217 verabschiedet. Der Antrag empfiehlt, nicht nur die gewerbsmäßige, sondern jede Form organisierter Suizidhilfe zu verbieten. Wie bewerten Sie das?

Löhr: Ich bin froh, dass der Parteitag die Bedeutung des Themas erkannt hat. Da ist doch ein gewisser Weckruf erfolgt. Denn bisher konnten offensichtlich viele Politiker und Bürger die Dimension dieses Themas gar nicht einordnen. Bei Paragraf 217 geht es für Millionen Menschen um eine Frage von Leben oder Tod.

Wieso war der Parteitagsantrag nötig?

Löhr: Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die gewerbliche Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden soll. Nun könnte man glauben, dass das sinnvoll und richtig wäre, um dem Geschäft mit dem Tod ein Ende zu bereiten. Es handelt sich aber leider um eine Scheinlösung. Denn in Wirklichkeit gibt es in Deutschland keine einzige Organisation, die kommerziell Sterbehilfe anbietet. Der Gesetzentwurf will etwas verbieten, was es so bei uns gar nicht gibt. Sterbehilfeorganisationen haben erkannt, dass ein kommerzielles Modell sich gesetzlich nur schwer durchsetzen lässt und mittlerweile gemeinnützige Strukturen entwickelt. Bürger können also spenden oder Mitglied werden. Andere Organisationen haben jetzt „ehrenamtliche“ Sterbehelfer. Gefährlich ist aber, dass das Gesetz im Grunde jedem straffrei ermöglicht, sich direkt von einer nichtgemeinnützigen Organisation oder professionellen Sterbebegleiter „Sterbe-Hilfe“ zu beschaffen, um unter deren Anleitung die Selbsttötung „fachkundig“ durchzuführen.

Welche Auswirkungen hätte das?

Löhr: Wir übernehmen fast die Verhältnisse in der Schweiz und den Niederlanden. Deutschland wäre das erste Flächenland der Welt, das diese weitgehende Liberalisierung erlauben würde. In anderen Nachbarländern ist jede Form der Mitwirkung am Suizid unter Strafe gestellt.

Es hat Veränderungen der Antragskommission am ursprünglichen Antrag Julia Klöckners gegeben. Wie beurteilen Sie diese?

Löhr: Der Initiativantrag ist eine überraschend deutliche Kritik des vorliegenden Gesetzentwurfes der Regierung. Der Antrag, den dann die Antragskommission ohne große Diskussion daraus gemacht hat, ist wesentlich schwächer formuliert. Er enthält nur noch eine Empfehlung, sich über den Gesetzentwurf hinaus auch dafür einzusetzen, dass organisierte Sterbehilfe verboten wird. Damit wird der jetzige Entwurf als weitgehend akzeptiert dargestellt. Dennoch halte ich es für ein klares, kritisches Signal. Die Delegierten haben erkannt, dass hier eine neue Grauzone eröffnet wird, die wortwörtlich lebensgefährlich sein kann für Alte, Kranke, depressive Menschen oder für Menschen in extremen Lebenssituationen. Selbsttötung erfolgt längst nicht mehr nur dann, wenn jemand leidend in den letzten Zügen liegt. Das Tragische ist, dass der Gesetzgeber jede Beihilfe völlig freistellen will, wenn sie unbezahlt ist.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat den Beschluss des Parteitags kritisiert. Das Verbot auszuweiten, sei mit der FDP nicht zu machen. Sie verweist auf das Selbstbestimmungsrecht...

Löhr: Das ist grotesk oder ein schlechter Witz. Das Selbstbestimmungsrecht bedeutet also Suizid. Das Selbstbestimmungsrecht kann dann gewiss nicht „assistierter“ Suizid bedeuten! Wenn Staat und Gesellschaft sich heute entschließen, hilflosen, kranken Menschen in ausweglos empfundenen Lagen den schnellen Tod zu ermöglichen, dann konterkarieren wir nicht nur christliche Vorstellungen, sondern überhaupt Gebote echter Humanität. Ich halte das für einen Kulturwechsel in die falsche Richtung. Das ist ein Abschied von Humanität und Menschenachtung. Humanität bedeutet Beistand bis zur letzten Stunde, bis zum letzten Atemzug. Humanität heißt nicht Herbeiführen dieser letzten Stunde!

Was bedeutet dieser Antrag für das weitere Gesetzgebungsverfahren? Schon am 31. Januar soll darüber abgestimmt werden...

Löhr: Ich habe die Hoffnung, dass durch diesen Weckruf eine neue Nachdenklichkeit einzieht, dass Gegenentwürfe formuliert werden. Allein Änderungen werden nicht genügen, weil die Substanz des Gesetzentwurfes kontraproduktiv ist. Dieser würde Suizid und die aktive Beihilfe fördern und nicht verhindern. Wer Sterbehilfe fordert und unterstützt, bestätigt damit den Suizid als „gute“ Tat! Und das widerspricht zutiefst der Menschenwürde und nicht nur der christlich geprägten Kultur Europas!

Das Interview mit Frau Löhr wurde von Clemens Mann für „Die Tagespost“ geführt und dort am 07.12.2012 publiziert