28.07.2022
Deutscher Bundestag: Interfraktionelle Arbeitsgruppe Pränataldiagnostik gegründet
Seit dem 1. Juli 2022 werden vorgeburtliche Bluttests auf Trisomien von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet. Vor diesem Hintergrund haben acht Abgeordnete im Deutschen Bundestag eine interfraktionelle Arbeitsgruppe zur Pränataldiagnostik gegründet.
Anlässlich der Gründung der interfraktionellen Arbeitsgruppe zur Pränataldiagnostik erklären Michael Brand (CDU/CSU), Hubert Hüppe (CDU/CSU), Pascal Kober (FDP), Stephan Pilsinger (CDU/CSU), Sören Pellmann (DIE LINKE), Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen), Dagmar Schmidt (SPD) und Sabine Weiss (CDU/CSU) in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom 28.07.22:
Uns eint die Überzeugung, dass das pränatale Screening auf Trisomie 21, 18 und 13 und andere auf keinen Fall zur Routine in der Schwangerschaft werden darf. Wir betrachten mit großer Sorge, dass der Trisomie-Bluttest seit dem 1. Juli 2022 von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird. Manche meinen, die Debatte um Zulassung und Nutzung solcher Screenings sei damit beendet. Das stimmt nicht. Im Gegenteil ist das Thema genauso virulent wie zuvor. Wir stehen erst am Beginn einer besorgniserregenden Entwicklung, weil weitere Tests auf genetische Dispositionen in der Entwicklung sind und vor der Zulassung stehen.
Entscheidungen zu einem Schwangerschaftsabbruch finden nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum statt. Persönliche Entscheidungen unterliegen auch gesellschaftlichen Zwängen, Wünschen und (Vor )Bildern.
Wenn als Grund für die Kostenübernahme allein die Besorgnis ausreicht, ein Kind mit Trisomie zur Welt zu bringen, wird das auf eine flächenmäßige Anwendung der Tests hinauslaufen. Zumal die leichte Verfügbarkeit des Tests diese Sorge befeuern wird – mit einer klaren Botschaft: Ein Leben mit einer Trisomie ist weniger wert, gesellschaftlich weniger erwünscht und Kinder mit Behinderung lassen sich vermeiden. Ein Blick nach Dänemark, wo ein Screening auf Trisomien seit 2004 allen Schwangeren als reguläre Vorsorge angeboten wird, zeigt die drastischen Folgen: Innerhalb eines Jahres halbierte sich die Anzahl der neugeborenen Kinder mit Trisomie.
Als interfraktionelle Gruppe sind wir der Meinung, dass die Antwort auf diese ethisch hochbrisanten Fragen, die mit der Pränataldiagnostik verbunden sind, nicht einem Verwaltungsgremium wie dem G-BA überlassen werden darf. Darauf hat auch Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, wiederholt hingewiesen und angemahnt, dass die Entwicklung, Verfügung und Zulassung molekulargenetischer Testverfahren fundamentale ethische Grundfragen unserer Werteordnung berühren, denen sich das Parlament stellen muss.
Auch der Deutsche Ethikrat hat sich im Februar diesen Jahres im Rahmen des „Forums Bioethik“ sehr kritisch zu nichtinvasiven Pränataltests positioniert, da zentrale ethische Prinzipien betroffen seien: Selbstbestimmung und Recht auf Nichtwissen, gesellschaftliche Prägung und Entscheidungsdruck, unser Verständnis von und der Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Behinderung sowie die Akzeptanz von Anderssein.
Wir wollen diese Fragen endlich dorthin holen, wo sie zu verhandeln sind: in den Deutschen Bundestag als dem gesetzgebenden und damit normsetzenden Organ unseres politischen demokratischen Systems. Nur dort lässt sich einer Debatte gerecht werden, die den Kern unserer gesellschaftlichen Werte berührt. Wir wollen konkrete rechtliche Änderungen bewirken. Insofern sehen wir uns als gesetzgeberischen Aktionskreis und nicht nur als parlamentarischen Gesprächskreis. Ziel der gesetzgeberischen Maßnahmen soll es sein, dass pränatale Screenings, die ausschließlich mit einer selektiven Praxis verbunden sind, nicht zu Standarduntersuchungen während der Schwangerschaft werden, sondern die Ausnahme bleiben. Daneben wollen wir die Zulassungsverfahren regulieren. Diese dürfen nicht einem rein von Angebot und Nachfrage getriebenen Mechanismus folgen.
Um diese Zielsetzung fundiert umsetzen zu können, wollen wir regelmäßig externe Fachexpertise einbeziehen. Der zivilgesellschaftliche Input von Betroffenenkreisen ist für unsere Arbeit maßgebend. Hand in Hand mit den Fachleuten aus Praxis und Wissenschaft werden wir Gesetzesänderungen zur Abstimmung bringen, die eine auf Selektion ausgerichtete Pränataldiagnostik zur Ausnahme, nicht zur Regel machen.