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09.07.2019

Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben: Hilfe zum Leben statt Hilfe zum Sterben

Pressemitteilung zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 2019

Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist es, dem Menschen nicht zu schaden. Ärzte haben die Pflicht, Schmerz und Leid zu beseitigen, nicht aber die Person, die Schmerzen hat und leidet.

Das erschütternde Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3.7.2019, durch das die Freisprüche in zwei Fällen von ärztlich assistierter Selbsttötung und unterlassener Hilfeleistung bestätigt werden, gibt für die Organisation "Ärzte in Ehrfurcht vor dem Leben" Anlass zu einer Rückbesinnung auf die ethischen Grundlagen ärztlichen Handelns.

Der Arzt ist Beschützer des Lebens, er darf nicht zur Gefahr für das Leben seiner Patienten werden. Jeder psychisch oder physisch kranke Mensch braucht fachgerechte medizinische Hilfe und echte mitmenschliche Zuwendung sowie die Gewissheit, dass der Arzt alles tun wird, um seine Krankheit zu heilen oder, wo dies nicht möglich ist, sein Leiden zu lindern.

Die Erhaltung des Lebens und das Tötungsverbot sind als wichtigste Grundwerte ärztlichen Handelns im Hippokratischen Eid verankert:

„Ich werde aber nicht und ganz und gar nicht und niemandem als dazu Gebetener ein todbringendes Mittel geben, und ich werde auch nicht einen solchen Ratschlag vorzeigen.“ (1)

Um einer Relativierung des Tötungsverbots für Ärzte entgegenzutreten, wurde beim 114. Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel der § 16 in die (Muster-) Berufsordnung der Bundesärztekammer aufgenommen:

„… Es ist ihnen (den Ärzten) verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ (2)

Die Bedeutung dieser ärztlichen Ethik in der hippokratischen Tradition sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft wird durch aktuelle Forschungsergebnisse einer interprofessionellen Gruppe von Wissenschaftlern aus Europa, Amerika und Australien detailliert aufgezeigt.(3)

Die Autoren sehen ernsthafte Risiken für die Gesellschaft, wenn sich die Haltung der Medizinischen Fachgesellschaften, die den ärztlich assistierten Suizid und Euthanasie traditionell ablehnen, ändern würde. Insbesondere warnen sie vor den Folgen für die ärztliche Professionalität, vor den Konsequenzen für hilfsbedürftige Menschen und für das Gemeinwohl insgesamt. Vor dem Hintergrund der historischen und der globalen Entwicklung, sowie im Hinblick auf die Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung sehen die Wissenschaftler insbesondere fünf Gründe, warum Ärzte sich niemals an assistiertem Suizid und Euthanasie (ÄAS-E) beteiligen sollten:

1. Schiefe Ebene

Die Wissenschaftler stellen fest, dass in Ländern, die ÄAS-E legalisiert haben, die sogenannten „Sicherheitsvorkehrungen“ ineffektiv sind, dass sie verletzt und die Indikationen schrittweise ausgeweitet werden. Beispielsweise würden psychisch Kranke getötet, Menschen die einer gesellschaftlich diskriminierten Gruppe angehören oder Menschen, die gar nicht um Eutha-nasie gebeten haben.

Nach Jahren der Euthanasie-Praxis seien Veränderungen in der „medizinischen Kultur“ aufgetreten und Euthanasie werde am Ende des Lebens zunehmend als eine gültige Option angesehen.

2. Mangel an Selbstbestimmung

Das Verlangen nach ÄAS-E sei stärker durch psychologische und soziale Motive gekenn-zeichnet, als durch körperliche Symptome oder rationale Entscheidungen. In den meisten Fällen würden die Suizidabsichten bei verbesserter Symptomkontrolle und psychologischer Unterstützung verschwinden.

Bei vielen Anfragen für ÄAS-E liege die Ursache nicht im Schmerz und Leid des Patienten, sondern darin, dass er glaubt, das Leben nicht genießen zu können, in Hoffnungslosigkeit, Angst vor dem Sterben, in sozialer/familiärer Isolation und in der Angst davor, eine Belastung zu sein oder von der Familie abhängig zu sein, einschließlich finanzieller Überlegungen. Anfragen nach ÄAS-E könnten auch ein Hilferuf sein, ein "Wunsch zu leben, aber nicht so."

3. Unzureichende Palliativversorgung

Mit einer besseren Palliativversorgung erreiche man, dass sich die meisten Patienten körperlich wohl fühlen. Viele Personen, die nach ÄAS-E fragen, wollten nicht sterben, sondern von ihrem Leiden befreit werden. Eine angemessene Behandlung von Depression und Schmerzen verringere das Verlangen nach dem Tod.

4. Medizinische Professionalität

Ärztlich assistierter Suizid/Euthanasie (ÄAS-E) überschreite die unantastbare Regel, dass Ärzte Leiden heilen und lindern, aber niemals absichtlich den Tod herbeiführen.

ÄAS-E untergrabe die Beziehung zwischen Arzt und Patient und höhle das Vertrauen der Patienten und der Gesellschaft in den ärztlichen Beruf aus.

5. Unterschiede zwischen Mittel und Ziel

Die Autoren glauben, dass das Töten von Patienten, um Leiden zu lindern, etwas grundsätzlich anderes ist als der natürliche Tod und nicht akzeptiert werden kann.

In ihrem Fazit kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis:

Ärzte haben die Pflicht, Schmerz und Leid zu beseitigen, nicht aber die Person, die Schmerzen hat und leidet. Aus den genannten Gründen schlagen sie vor, dass ÄAS-E nicht legalisiert werden sollte. ÄAS-E sei keine medizinische Behandlung und sollte nie von Ärzten durchgeführt werden.

Lösungen für leidende Patienten liegen in der Verbesserung der Palliativversorgung und der sozialen Bedingungen sowie in der Beseitigung der Gründe, warum Patienten nach ÄAS-E fragen. Es sei keine Lösung, die medizinische Praxis radikal zu verändern und ÄAS-E zu erlauben. Zudem weisen sie auf die wichtige Rolle der Medizin bei der Aufrechterhaltung von Werten hin, insbesondere des Respektes vor dem menschlichen Leben.

Wir fordern, wie bereits Ardis Hoven, ehemalige Vorsitzende der World Medical Association (WMA), dass wir Ärzte uns nicht an assistiertem Suizid und Euthanasie beteiligen, selbst wenn das nationale Recht dies zulässt oder unter bestimmten Bedingungen entkriminalisiert.

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1 Übersetzung aus dem Altgriechischen (ionischer Dialekt) von Jakob Gehring und Josias Mattli
2 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte
3 Physician-Assisted Suicide and Euthanasia: Emerging Issues From a Global Perspective“, Journal of Palliative Care 2018, Vol. XX(X) 1-7

 

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