01.06.2025
129. Ärztetag: Beschlüsse zu Abtreibungsregelung und Suizidpräventionsgesetz
Beim 129. Ärztetag in Leipzig vom 27.-30.05.2025 gab es unter anderen zwei biopolitisch richtungsweisende Beschlüsse. Die Delegierten sprachen sich für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches aus und mahnten ein überfälliges Suizidpräventionsgesetz an.
Unter dem Tagesordnungspunkt TOP V: "Ärztliche Perspektiven zum Schwangerschaftsabbruch" stimmten die Delegierten des Ärztetages über mehrere Anträge ab, die um das Thema "Entkriminalisierung" von Abtreibungen gingen.
Ärztetag votiert für rechtliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches
Konkret fordert der 129. Deutsche Ärztetag von den politisch Verantwortlichen "Augenmaß" in der Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Ärzteschaft müsse eng in diese Diskussion einbezogen werden. „Sowohl das Recht der Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung als auch das Recht des Ungeborenen auf Leben ist zu beachten“, stellte der Ärztetag in seinen Beschlüssen klar.
Dazu gehöre, dass es weiterhin eine persönliche Gewissensentscheidung bleibe, ob Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Wer sich dazu entschließe, müsse wirksam vor Drangsalierungen, Bedrohungen und Angriffen geschützt werden. Es dürfe aber auch kein Arzt, keine Ärztin zur Durchführung dieses Eingriffs verpflichtet werden – von den bereits jetzt geltenden gesetzlichen Konstellationen abgesehen, also etwa dann, wenn die Schwangerschaft das Leben der werdenden Mutter gefährdet.
Die gültige Beratungsregelung steht in § 218a Absatz 1 Strafgesetzbuch. Demnach ist die Beendigung ungewollter Schwangerschaften rechtswidrig, aber dennoch straffrei, sofern rechtzeitig eine Schwangerschaftskonfliktberatung stattfand und der Abbruch bis zur 12. Woche nach der Empfängnis erfolgt. Der Ärztetag fordert, dass die Bedingungen für fristgerechte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden. Die Verpflichtung zur Beratung soll bleiben.
„Das trägt nach unserer Einschätzung dazu bei, die Versorgung der ungewollt Schwangeren sowie die Rechtssicherheit der den Abbruch durchführenden Ärztinnen und Ärzte zu stärken. Gerade in der Beratungspflicht liegt die Chance, auch das werdende Leben zu schützen“, so der Ärztetag. Zudem ermögliche ein gutes Beratungs- und Versorgungsangebot, dass die Situation der ungewollt Schwangeren nicht vom Termindruck bestimmt werde. Je später der Eingriff erfolgt, desto wahrscheinlicher sind Komplikationen.
Der Ärztetag betonte außerdem: „Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe liegt im Interesse der bestmöglichen medizinischen Versorgung der betroffenen Frauen. Der Schwangerschaftsabbruch muss weiterhin dem Arztvorbehalt unterliegen und darf, wie es das Schwangerschaftskonfliktgesetz bereits vorsieht, nur in einer Einrichtung vorgenommen werden, in der auch die notwendige Nachbehandlung gewährleistet ist.“ Damit die betroffenen Frauen zwischen den Methoden eine Wahl haben, seien Angebote sowohl zum operativen wie zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in allen Regionen Deutschlands niedrigschwellig und in erreichbarer Entfernung zur Verfügung zu stellen.
Einen sehr ausführlichen Bericht zur Debatte beim 129. Ärztetag gibt es unten in einem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt.
Suizidprävention stärken, Fehlentwicklungen bei der Suizidhilfe vermeiden
Unter dem Tagesordnungspunkt TOP 1c erneuerten die Delegierten des Ärztetages ihre Forderung nach einem umfassenden Suizidpräventionsgesetz. Mit dem Gesetz sollen bundesweit Beratung, Aufklärung, niedrigschwellige Hilfsangebote sowie der Ausbau und die verlässliche Finanzierung psychosozialer Unterstützungsstrukturen sichergestellt werden, betonte der Deutsche Ärztetag in Leipzig.
Eine solche Gesetzesinitiative sollte zeitlich vor oder zumindest parallel zu einer gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe in Kraft treten, die aus Sicht des Ärztetages vor dem Hintergrund eines Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 geboten ist.
Der Ärztetag appellierte an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, bei der Neuregelung der Suizidhilfe sowohl der Selbstbestimmung des Einzelnen als auch dem Schutz vor gesellschaftlicher Normalisierung des assistierten Suizids Rechnung zu tragen. Zentrale Bedeutung komme dabei dem Schutzkonzept zu, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich benannt hat. Prozedurale Vorgaben müssten gewährleisten, dass Menschen vor nicht freiverantwortlichen, übereilten Entscheidungen oder vor Missbrauch geschützt werden.
Der 129. Deutsche Ärztetag warnte zudem davor, Suizidhilfe als regulären Bestandteil der ärztlichen Berufsausübung gesetzlich zu verankern. Gleichwohl sei es Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen und Patienten mit Suizidgedanken oder Todeswünschen mit Empathie und Gesprächsbereitschaft zu begegnen. Das vertrauensvolle Gespräch über Todeswünsche oder Lebensmüdigkeit sei ein zentraler Bestandteil ärztlicher Tätigkeit – nicht nur im Umgang mit schwer kranken oder sterbenden Menschen, sondern auch im ambulanten und psychiatrischen Bereich.
Abschließend stellt der Ärztetag klar: Es muss eine freie und individuelle Entscheidung jeder Ärztin und jeden Arztes bleiben, ob im Einzelfall eine Mitwirkung an der Selbsttötung geleistet wird. Zwang, Erwartungshaltungen oder struktureller Druck dürfen in diesem hochsensiblen Bereich keinen Platz haben.
Ausführliche Berichte gibt es beim Ärzteblatt online. Alle Ärztetag-Beschlüsse im Wortlaut sind im Beschlussprotokoll unten nachzulesen.
Weitere Informationen:
Beschlussprotokoll 129. Ärztetag (PDF-Format)
Dort TOP V: "Ärztliche Perspektiven zum Schwangerschaftsabbruch" (Seite 432-443 im Beschlussprotokoll)
TOP Ic: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik: Aussprache zur Rede des Präsidenten und zum Leitantrag - Aktuelle Fragen der ärztlichen Berufsausübung (S. 280-283)
Ärztetag für Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
Aerzteblatt.de 29.05.25
Suizidpräventionsgesetz angemahnt
Aerzteblatt.de 30.05.25
129. Deutscher Ärztetag in Leipzig (27.-30.05.2025)